PROJECT dao de ging

Gia Fu Feng und Jane English gewidmet, deren meisterliche Version auf Englisch ich ins Deutsche übersetzen durfte.

1
Das Tao, das benannt ist, ist nicht das ewige Tao. Der Name, der genannt ist, ist nicht der ewige Name. Das Namenlose ist der Beginn von Himmel und Erde. Das Benannte ist die Mutter der zehntausend Formen. Allzeit ohne Erwartung und das Mysterium wird sichtbar. Allzeit voller Verlangen und die Manifestationen erscheinen. Diese beiden entspringen derselben Quelle, ungleich in ihren Namen. Dies erscheint als Dunkel. Dunkel im Dunkel. Das Tor zum allem Mysterium.
2
Unter dem Himmel kann man das Schöne nur sehen, weil es das Hässliche gibt, das Gute nur erkennen, weil es das Böse gibt. Haben und Nichthaben bedingen sich gegenseitig. Schwierig und leicht ergänzen sich gegenseitig. Lang und kurz widersprechen sich gegenseitig. Hoch und niedrig stützen sich gegenseitig. Stimme und Klang harmonieren sich gegenseitig. Vorne und Hinten folgen sich gegenseitig.
Deshalb ergeht sich der Weise im Nichtstun
und er lehrt Nichts zu sagen. Die zehntausend Dinge erscheinen und vergehen ohne Unterlass und bewirken doch nichts. Arbeite, ohne Verdienst zu erwarten. Verrichte deine Arbeit, dann vergiss sie, dann wirkt sie für immer.
3
Kein Höher, kein Streit. Kein Mehr, kein Diebstahl. Kein Verlangen nach der Welt, keine Verwirrung des Herzens. Die Weisen herrschen, indem sie ihre Herzen leeren
und ihre Bäuche füllen, indem sie das Verlangen schwächen und die Knochen stärken. Wenn es den Menschen an Einsicht und Sehnsucht fehlt,
dann werden kluge Leute sich nicht einmischen. Wenn nichts getan wird, dann wird alles gut.
4
Das Tao ist ein leeres Gefäß,
es wird benutzt, doch nie gefüllt. Oh, unergründliche Quelle der zehntausend Dinge! Mach stumpf die Klinge, öffne den Knoten, dämpfe das Grelle, mische es mit Staub. Oh, verborgene Tiefe, dennoch immer präsent! Ich weiß nicht woher es kommt. Es ist der Vorvater der Götter.
5
Himmel und Erde sind ungeteilt. Sie blicken auf die zehntausend Dinge wie räudige Hunde. Die Weisen sind gleichgültig. Sie blicken auf die Leute wie räudige Hunde. Der Raum zwischen Himmel und Erde ist wie ein Blasebalg. Die Gestalt ändert sich aber nicht die Form. Je mehr er sich bewegt, desto mehr gewinnt er. Mehr Worte zählen weniger. Halte Dich rasch fest an der Mitte.
6
Die Seele des Tales stirbt nie. Sie ist die Frau, die Urmutter. Der Zugang zu ihr ist der Ursprung von Himmel und Erde. Er ist wie ein kaum bemerkter Schleier. Geh durch ihn hindurch und sie wird dich nie im Stich lassen.
7
Himmel und Erde bestehen für immer. Warum bestehen Himmel und Erde für immer? Sie sind ungeboren, so leben sie ewig. Der Weise hält sich zurück, so geht er voran. Er ist ungebunden und daher eins mit allem. Durch selbstloses Handeln gelangt er zur Vollendung.
8
Das höchste Gut ist wie das Wasser. Das Wasser gab den zehntausend Dingen das Leben
und es bemüht sich dennoch nicht.
Es fließt an Orten, die die Menschen meiden
und so ist es wie das Tao. Als Wohnung baue auf Stein. In Meditation gehe tief hinein ins Herz. Im Umgang mit anderen sei sanft und gütig. In der Sprache sei wahrhaftig. In der Führung sei gradlinig. Im täglichen Leben sei tüchtig. Im Tun sei dir der Zeit und der Umstände bewusst.
Kein Kampf, keine Schuld.
9
Besser schnell aufhören als lange fortfahren. Wenn du die Klinge zu lange schärfst wird sie stumpf werden. Häufe Gold und Jade an und keiner kann sie schützen. Strebe nach Wohlstand und Titeln und das Unglück wird folgen. Ruhe wenn die Arbeit getan ist. Das ist der Weg des Himmels.
9
Es ist besser ein leeres Fass zu tragen, als ein volles Fass Schleife ein Messer messerscharf und es wird nicht lange halten Wenn ein Hause gefüllt ist mit Kostbarkeiten, ist es nicht zu bewachen Wenn Reichtum und Ehrgeiz hochmütig machen, führt es zum Fall Wenn Ruhm und Erfolg dich bedrängen, ziehe dich zurück Das ist der einzige Weg zur Glückseligkeit
10
Körper und Seele tragen und die Einheit umarmen, kannst du die Trennung vermeiden? Vollkommen präsent und gefügig sein, kannst du sein wie ein neugeborenes Baby? Waschen und Reinigen als erste Aufgabe, kannst du ohne Makel sein? Alle Menschen lieben und das Land regieren, kannst du ohne Klugheit sein? Die Pforten des Himmels öffnen und schließen, kannst du die Rolle des Weiblichen einnehmen? Verstehen und offen sein für alle Dinge, bist du fähig, nichts zu tun? Gebären und nähren, Hervorbringen und doch nicht besitzen, Arbeiten und doch keinen Lohn nehmen, Führen und doch nicht bestimmen, Das ist die Erste Tugend.
11
Dreißig Speichen bilden des Wagens Nabe; es ist die Lücke in der Mitte, die sie nützlich macht. Forme Lehm zu einem Gefäß; es ist der Hohlraum, der es nützlich macht. Spare Türen und Fenster aus in einem Zimmer; es sind die Löcher, die es nützlich machen. Deshalb kommt der Nutzen, von dem, was da ist, die Sinnhaftigkeit von dem, was nicht da ist.
12
Die fünf Farben trüben das Auge. Die fünf Töne betäuben das Ohr. Die fünf Geschmäcker stumpfen den Geschmackssinn ab. Rasen und Jagen machen den Geist verrückt. Wertvolle Dinge führen einen auf Abwege. Deshalb wird der Weise geführt von dem, was er spürt und nicht von dem, was er sieht. Er lässt von jenen ab und wählt dieses.
13
Akzeptiere bewusst Ungnade.
Akzeptiere Unglück als den menschlichen Zustand. Was meinst du mit “Akzeptiere bewusst Ungnade“?
Akzeptiere unwichtig zu sein.
Beschäftige dich nicht mit Verlust oder Gewinn.
Das nennt man „bewusst Ungnade akzeptieren“. Was meinst du mit „Akzeptiere Unglück als den menschlichen Zustand“?
Unglück rührt davon, einen Körper zu haben.
Wie könnte es ohne einen Körper Unglück geben? Übergib dich demütig, dann kann man dir vertrauen, für alle Dinge zu sorgen. Liebe die Welt wie dich selbst, dann kannst du wirklich für alle Dinge sorgen.
14
Schau, man kann es nicht sehen, es jenseits aller Form. Hör, man kann es nicht hören, es ist jenseits allen Klangs. Greif zu, man kann es nicht halten, es ist unberührbar. Diese drei sind undefinierbar, deshalb gehören sie zusammen. Von oben ist es nicht hell, von unten ist es nicht dunkel, ein ununterbrochener Fluss jenseits aller Beschreibung, er kehrt zurück ins Nichts. Die Form des Formlosen, das Abbild des Bildlosen, es wird unbestimmbar und unvorstellbar genannt.
Stehe davor und es gibt keinen Anfang, folge ihm und es gibt kein Ende, bleibe bei dem alten Tao, beweg dich in der Gegenwart.
Den alten Anfang zu kennen ist die Essenz des Tao.
15
Die alten Meister waren scharfsinnig, geheimnisvoll, tiefgründig, ansprechbar. Die Tiefe ihres Wissens ist unermesslich. Weil sie unermesslich ist, ist, sie zu beschreiben alles, was wir tun können. Aufmerksam, wie Männer, die einen Strom im Winter überqueren. Wachsam, wie Männer im Angesicht der Gefahr. Höflich, wie Gäste auf Besuch. Nachgiebig, wie das Eis vor dem Schmelzen. Einfach, wie ungehobelte Holzbretter. Leer, wie Höhlen. Undurchsichtig, wie schlammige Tümpel. Wer kann ruhig warten während der Schlamm sich setzt? Wer kann ruhig bleiben bis zum Moment der Tat? Beobachter des Tao streben keine Erfüllung an. Indem sie keine Erfüllung anstreben, werden sie nicht beeinflusst vom Verlangen nach Wandel.
16
Leere dich von allem. Lass deinen Geist ruhig werden. Die zehntausend Dinge erscheinen und verschwinden
während das Selbst ihren Wandel beobachtet. Sie wachsen und gedeihen und kehren dann zurück zur Quelle. Die Rückkehr zur Quelle ist Stille, das ist der natürliche Weg. Der natürliche Weg ist unwandelbar. Das Unabänderliche zu kennen ist Einsicht. Das Unabänderliche nicht zu kennen führt ins Verderben. Im Erkennen des Unabänderlichen ist der Geist offen. Mit einem offenen Geist wird dein Herz offen sein. Mit einem offenen Herzen wirst du königlich handeln. Königlich zu Sein, wirst du das Göttliche erlangen. Göttlich zu Sein, wirst du Eins sein mit dem Tao. Eins zu sein mit dem Tao ist ewig. Und obwohl der Körper stirbt, das Tao wird niemals vergehen.
17
Das Allerhöchste ist kaum bekannt. Dann kommt das, das die Menschen kennen und lieben. Dann kommt das, das gefürchtet wird, Dann das, das verachtet wird. Wer nicht genug vertraut, dem wird nicht vertraut.
Wenn Taten sich vollziehen ohne unnötige Worte, dann sagen die Leute, „Wir haben es getan!”
18
Wenn das große Tao vergessen ist, wachsen Freundlichkeit und Moral. Wenn Weisheit und Verstand geboren sind, beginnt die große Täuschung. Wenn es keine Frieden gibt in der Familie, wachsen Frömmigkeit und Hingabe. Wenn das Land verwirrt ist und durcheinander, erscheinen loyale Minister.
19
Gib das Heiligsein auf, verzichte auf die Weisheit, und es wird hundert Mal besser sein für jeden. Gib die Freundlichkeit auf, verzichte auf die Moral, und die Menschen werden die kindliche Frömmigkeit und Liebe wiederfinden. Gib auf den Einfallsreichtum, verzichte auf den Gewinn, und Räuber und Diebe werden verschwinden.
Diese drei sind, allein betrachtet, äußerliche Formen, sie sind alleine nicht ausreichend. Es ist wichtiger die Einfachheit zu sehen, seine wirkliche Natur zu verstehen, die Selbstsucht abzuwerfen und das Verlangen zu mäßigen.
20
Gib das Lernen auf und mach all deinem Ärger ein Ende. Gibt es einen Unterschied zwischen Ja und Nein? Gibt es einen Unterschied zwischen Gut und Böse? Muss ich fürchten, was andere fürchten? Welch ein Unsinn! Andere Leute sind zufrieden, wenn sie das Opfermahl des Ochsen genießen. Im Frühling gehen manche in den Park und steigen auf den Hügel, Nur ich allein treibe vor mich hin und weiß nicht, wo ich bin. Wie ein Neugeborenes, bevor es lernt zu lächeln, Bin ich alleine, ohne einen Ort, an den ich gehen kann. Andere haben mehr, als sie brauchen, aber ich alleine
habe nichts. Ich bin ein Narr, oh ja! Ich bin verwirrt. Andere sind klar und ohne Zweifel, Aber ich allein bin dämlich und schwach. Andere sind präzise und klug, Aber ich allein bin dumpf und dumm. Oh, ich treibe wie die Wellen des Meeres, Ohne Richtung, wie der der rastlose Wind. Jeder andere ist geschäftig, Aber ich bin ziellos und bedrückt. Ich bin anders. Ich werde genährt von der Großen Mutter.
21
Die größte Tugend ist es, dem Tao zu folgen und dem Tao allein. Das Tao ist flüchtig und unfassbar. Oh, es ist unfassbar und flüchtig und doch beinhaltet es Bilder. Oh, es ist flüchtig und unfassbar und doch beinhaltet es Formen. Oh, es ist vage und dunkel und doch beinhaltet es eine Essenz. Diese Essenz ist sehr real und darin liegt die Zuversicht. Vom allerersten Anfang bis heute wurde ihr Name nie vergessen. Daran nehme ich die Schöpfung wahr. Wie kann ich die Wege der Schöpfung kennen? Genau deswegen.
22
Gib nach und überwinde dich, beuge dich und strecke dich, leere dich und fülle dich, nütz dich ab und sei neu, habe wenig und gewinne, habe viel und sei durcheinander. Deshalb umarmt die Weisen das Eine und setzt allen ein Beispiel. Indem sie nichts zur Schau stellen, glänzen sie in einem fort. Indem sie sich nicht rechtfertigen, sind sie herausragend. Indem sie nicht prahlen, erhalten sie Anerkennung. Indem sie nicht aufschneiden, wanken sie nie, so wankt keiner mit ihnen. Deshalb sagen die Alten, „Gib nach und überwinde dich.“ Ist das leeres Gerede? Sei wirklich ganz, und alle Dinge kommen zu dir.
23
Wenig zu sprechen ist natürlich. Starke Winde dauern nicht den ganzen Morgen. Starker Regen dauert nicht den ganzen Tag. Warum ist das so? Himmel und Erde! Wenn Himmel und Erde die Dinge nicht ewig machen können, wie sollte dies dem Menschen möglich sein? Er, der dem Tao folgt, ist eins mit dem Tao. Er, der tugendhaft ist, erfährt die Tugend. Er, der den Weg verliert, ist verloren. Wenn du eins bist mit dem Tao, heißt dich das Tao willkommen. Wenn du eins bist mit der Tugend
ist die Tugend immer da. Wenn du eins bis mit dem Verlust wird der Verlust bereitwillig erlebt. Ihm, der nicht genug vertraut, wird nicht vertraut werden.
24
Der, der auf Zehenspitzen steht, ist nicht standhaft. Der, der ausschreitet, kann den Schritt nicht halten. Der, der Aufhebens macht, ist nicht erleuchtet. Der, der selbstgerecht ist, wird nicht respektiert. Der, der prahlt, erreicht nichts. Der, der angibt, wird nicht durchhalten. Nach den Anhängern des Tao „sind dies zusätzlicher Proviant und unnötiges Gepäck.“ Sie bringen keine Glückseligkeit. Deshalb vermeiden sie die Anhänger des Tao.
25
Etwas mysteriös Geformtes, entstanden vor Himmel und Erde, in Stille und leerem Raum, selbst bestehend und unwandelbar, immer gegenwärtig und in Bewegung. Vielleicht ist es die Mutter der zehntausend Dinge, ich kenne seinen Namen nicht, nennen wir es einfach Tao. Mangels eines besseren Wortes nenne ich es groß. Es ist groß und es fließt, es fließt weit weg. Wenn es weit weg war kehrt es zurück.
Deshalb, „Das Tao ist groß, der Himmel ist groß, die Erde ist groß, der König ist auch groß.“ Dies sind die vier großen Kräfte des Universums, und der König ist eine davon.
Die Menschen folgen der Erde, die Erde folgt dem Himmel, der Himmel folgt dem Tao, das Tao folgt dem Natürlichen.
26
Das Schwere ist die Wurzel des Leichten, Das Stille ist der Meister des Unsteten. Der Weise, der den ganzen Tag umher wandert, verliert deshalb sein Gepäck nicht aus den Augen. Obwohl es wunderschöne Dinge zu sehen gibt, bleibt er unberührt und still. Warum sollte der Herr der zehntausend Amseln leichtfertig in der Öffentlichkeit handeln? Leicht zu sein, heißt seine Wurzel zu verlieren. Rastlos zu sein, heißt seine Führung zu verlieren.
27
Ein guter Geher hinterlässt keine Spuren. Ein guter Sprecher macht keine Patzer. Ein guter Rechner braucht keine Strichliste. Eine gute Tür braucht kein Schloss, niemand kann sie öffnen. Gute Verbindungen brauchen keine Knoten, niemand kann sie lösen. Deswegen sorgt der Weise für alle Menschen und schließt niemanden aus. Er sorgt für alle Dinge und schließt keines aus. Dies wird „dem Licht folgen“ genannt. Was ist ein guter Mensch? Der Lehrer eines schlechten Menschen. Was ist ein schlechter Mensch? Die Herausforderung eines guten Menschen. Wird der Lehrer nicht respektiert
und wird für den Schüler nicht gesorgt,
so entsteht Verwirrung, so schlau man auch sei. Das ist der Kern des Mysteriums.
28
Kenne die männliche Stärke
aber bewahre die weibliche Fürsorge! Sei der Strom des Universums! Wenn du der Strom des Universums bist,
stets wahrhaftig und unerschütterlich, wirst du wieder ein kleines Kind. Kenne das Weiß, aber bewahre das Schwarz! Sei der Welt ein Beispiel! Stets wahrhaftig und unerschütterlich kehrst du in die Unendlichkeit zurück.
29
Glaubst du, du kannst das Universum nehmen
und es verbessern? Ich glaube nicht, dass dies möglich ist. Das Universum ist heilig. Du kannst es nicht verbessern. Wenn du versuchst, es zu verändern, wirst du es ruinieren. Wenn du versuchst, es zu halten, wirst du es verlieren.
So sind die Dinge manchmal voraus
und manchmal sind sie hinterher. Manchmal ist das Atmen schwer und manchmal ist es leicht. Manchmal ist man stark und manchmal ist man schwach. Manchmal ist man oben und manchmal ist unten.
Deshalb vermeidet der Weise Extreme, Exzesse und Selbstgefälligkeit.
30
Wann immer du einem Herrscher das Tao lehrst, rate ihm nicht, Gewalt anzuwenden, um das Universum zu erobern, weil das nur Widerstand erzeugen würde. Dornenbüsche schießen auf,
sobald die Armee vorüber gezogen ist. Magere Jahre folgen auf einen großen Krieg. Tue einfach, was getan werden muss. Ziehe niemals aus der Macht einen Vorteil. Schaffe Ergebnisse, aber sonne dich nicht in ihnen. Schaffe Ergebnisse, aber prahle nicht. Schaffe Ergebnisse, aber sei niemals stolz. Schaffe Ergebnisse,
weil dies der natürliche Weg ist. Schaffe Ergebnisse, aber nicht mit Gewalt.
Der Gewalt folgt der Verlust der Stärke. Das ist nicht der Weg des Tao. Demjenigen, der sich gegen das Tao wendet, wird ein frühes Ende beschieden sein.
31
Gute Waffen sind Werkzeuge der Angst;
alle Lebewesen hassen sie. Die Anhänger des Tao benutzen sie deshalb niemals. Der Weise bevorzugt die Linke. Der Mann des Kriegs bevorzugt die Rechte. Waffen sind Werkzeuge der Angst,
sie sind nicht die Mittel eines weisen Mannes. Er benutzt sie nur dann, wenn er keine Wahl hat. Frieden und Stille sind seinem Herzen lieb und ein Sieg ist kein Anlass zum Jubel. Wenn du im Sieg jubelst, dann erfreut dich das Töten; wenn dich das Töten erfreut, dann kannst du dich nicht erfüllen.
Bei glücklichen Anlässen wird zur Linken gegeben, bei traurigen Anlässen zur Rechten. In der Armee steht der General zur Linken, der Oberbefehlshaber zur Rechten. Das bedeutet, dass ein Krieg geführt wird wie ein Begräbnis. Wenn viele Menschen getötet werden, dann sollten sie beklagt werden in herzberührender Reue. Deshalb muss ein Sieg betrachtet werden wie ein Begräbnis.
32
Das Tao ist auf ewig unbestimmt. Obwohl es klein ist in seinem ungeformten Zustand,
kann man es nicht ergreifen. Wenn Könige und Fürsten es nutzen könnten, wären die zehntausend Dinge alle an ihrem Platz
und ein sanfter Regen würde fallen. Die Menschen bräuchten keine Belehrungen mehr
und alle Dinge nähmen ihren Lauf.
Sobald das Ganze geteilt ist, brauchen die Teile einen Namen. Es gibt schon genug Namen. Man muss wissen, wann man aufhört. Zu wissen, wenn man aufhört, vermeidet Ärger. Das Tao in der Welt ist wie ein Fluss, der nach Hause ins Meer fliest.
33
Andere zu verstehen ist Weisheit,
sich selbst zu verstehen ist Erleuchtung.
Andere zu meistern erfordert Kraft,
das Selbst zu meistern braucht Stärke. Derjenige, der weiß, dass er genug hat, ist reich. Beharrlichkeit ist ein Zeichen von Willenskraft. Derjenige, der stehen bleibt, wo er ist, hat Bestand. Zu sterben ohne unterzugehen heißt, ewig gegenwärtig zu sein.
34
Das große Tao fließt überall,
nach rechts als auch nach links. Die zehntausend Dinge hängen von ihm ab.
Es hält nichts zurück. Es nährt die zehntausend Dinge
und doch ist es nicht ihr Herr. Es hat kein Ziel. Es ist sehr klein.
Die zehntausend Dinge kehren zurück zu ihm,
dennoch ist es nicht ihr Herr. Es ist sehr klein.
Es zeigt keine Größe,
deshalb ist es wirklich groß.
35
Alle Menschen kommen zu dem, der das Eine hat, weil dort Rast und Glück und Frieden sind. Vorbeigehende mögen anhalten für Musik und gutes Essen. Eine Beschreibung des Tao hingegen scheint ohne Gehalt oder Geschmack. Man kann es nicht sehen, man kann es nicht hören und doch wird man es nie erschöpfen.
36
Das, was schrumpft,
muss sich zuerst ausdehnen. Das, was scheitert,
muss zuerst stark sein. Das, was verstoßen wird, muss zuerst heran gezogen werden. Vor dem Empfangen
muss gegeben werden. Das nennt man die Natur der Dinge wahrnehmen. Weich und schwach überwindet hart und stark.
Die Fische können das tiefe Wasser nicht verlassen
und die Waffen eines Landes sollten nicht zur Schau gestellt werden.
37
Das Tao wohnt im Nicht-Handeln,
dennoch bleibt nichts ungetan. Wenn Könige und Fürsten dies beachteten,
entwickelten sich die zehntausend Dinge auf natürliche Weise. Wünschten Sie dennoch zu handeln, kehrten sie zurück zur Einfachheit der formlosen Substanz. Ohne, weil es kein Verlangen gibt. Ohne Verlangen ist Sein. Und auf diese Weise wären alle Dinge in Frieden.
38
Ein wirklich guter Mensch ist sich seiner Tugend nicht bewusst
und daher ist er gut. Ein törichter Mensch bemüht sich gut zu sein
und daher ist er nicht gut. Ein wirklich guter Mensch tut nichts
doch lässt er nichts ungetan. Ein törichter Mensch ist immer am Tun,
doch es bleibt noch viel zu tun.
Wenn er wirklich gütiger Mensch etwas tut, lässt er nichts ungetan. Wenn ein gerechter Mensch etwas tut, bleibt noch vieles zu tun übrig. Wenn ein Vorgesetzter etwas tut und keiner reagiert
rollt er seine Ärmel auf, um Ordnung herzustellen.
Deshalb, wenn das Tao verloren ist, gibt es Tugend. Wenn die Tugend verloren ist, gibt es Güte. Wenn die Güte verloren ist, gibt es Gerechtigkeit. Wenn die Gerechtigkeit verloren ist, gibt es Gewohnheiten. Nun sind die Gewohnheiten der Quell von Vertrauen und Treue. Dies ist der Beginn der Unordnung. Wissen über die Zukunft ist nur eine blumige Falle für das Tao. Dies ist der Beginn der Torheit.
Deswegen verweilt der wirklich große Mann bei dem, was wirklich ist und nicht bei dem, was auf der Oberfläche liegt,
bei der Frucht und nicht bei der Blume. Deshalb nimm das eine und weis das andere zurück.
39
Diese Dinge aus alten Zeiten erwachsen aus dem Einem: Der Himmel ist ganz und klar. Die Erde ist ganz und fest. Der Geist ist ganz und stark. Das Tal ist ganz und gefüllt. Die zehntausend Dinge sind ganz und lebendig. Könige und Fürsten sind ganz und das Land ist aufrecht. All dies besteht innerhalb der Tugend der Ganzheit. Die Klarheit des Himmels verhindert seinen Fall. Die Festigkeit der Erde verhindert ihre Auflösung. Die Stärke des Geistes verhindert seine Abnutzung. Das Wachstum der zehntausend Dinge verhindert ihre Austrocknung. Die Führung der Könige und Fürsten verhindert den Fall des Landes.
Deshalb ist das Bescheidene die Wurzel des Vornehmen. Das Niedere ist das Fundament des Hohen. Prinzen und Fürsten betrachten sich als „verwaist“, „verwitwet“ und „wertlos“. Sind sie nicht darauf angewiesen, demütig zu sein?
Zu viel Erfolg ist kein Vorteil.
Funkle nicht wie Jade
oder klappere wie ein Windspiel.
40
Das Zurückkehren ist die Bewegung des Tao- Das Nachgeben ist der Weg des Tao. Die zehntausend Dinge sind hervorgegangen aus dem Sein. Das Sein ist hervorgegangen aus dem Nichtsein.
41
Der weise Student hört vom Tao und praktiziert es fleißig. Der Durchschnittsstudent hört vom Tao und denkt ab und zu daran. Der dumme Student hört vom Tao und lacht laut. Wenn es kein Gelächter gäbe wäre das Tao nicht das, was es ist. Deshalb wird gesagt: Der helle Pfad scheint dämmrig,
das Vorwärtsgehen scheint wie ein Rückzug, der leichte Weg scheint hart, die höchste Tugend scheint inhaltslos, die größte Reinheit scheint befleckt, der Wert der Tugend scheint unzureichend, die Kraft der Tugend scheint brüchig, wirkliche Tugend scheint unwirklich. Das vollkommene Quadrat hat keine Ecken, große Begabungen reifen spät, die höchsten Noten sind schwer zu hören, die größte Form hat keine Gestalt. Das Tao ist verborgen und ohne Namen. Das Tao alleine nährt und bringt alles zur Erfüllung.
42
Das Tao zeugte Eins. Das Eine zeugte Zwei. Die Zwei zeugten Drei. Und die Drei zeugten die zehntausend Dinge. Die zehntausend Dinge tragen Ying in sich und umarmen das Yang. Sie erreichen Harmonie, indem sie diese Kräfte vereinen.
Die Menschen hassen es, „waise“, „verwitwet“ oder „wertlos“ zu sein, aber genau so beschreiben die Könige und Edelleute sich selbst.
Man gewinnt durch Verlieren und verliert durch Gewinnen.
Was andere lehren, das lehre ich auch: „Ein gewalttätiger Mensch stirbt eines gewalttätigen Todes!“ Dies wird die Essenz meiner Lehren sein.
43
Das Weichste im Universum überwindet das Härteste im Universum. Dasjenige ohne Inhalt kann dort eintreten, wo es keinen Raum gibt. Deshalb kenne ich den Wert des Nicht-Eingreifens. Lehren ohne Worte und Taten ohne Tun
werden von sehr Wenigen verstanden.
44
Ruhm oder Selbst: Was ist wichtiger? Selbst oder Wohlstand: Was ist wertvoller? Gewinn oder Verlust: Was ist schmerzhafter? Wer an den Dingen hängt, wird viel leiden. Wer spart, wird schweren Verlust erleiden. Ein zufriedener Mensch ist nie enttäuscht. Wer weiß, wann Schluss ist, kommt nie in Schwierigkeiten. Er wird für immer sicher sein.
45
Eine große Tat scheint unvollkommen, denn sie lebt ihre Nützlichkeit nicht aus. Große Fülle scheint leer, denn sie kann nicht erschöpft werden. Große Geradlinigkeit scheint verdreht zu sein. Große Weisheit scheint dumm zu sein. Große Redekunst scheint unbeholfen zu sein. Große Wahrheit scheint falsch zu sein. Große Rede scheint still zu sein.
Bewegung überwindet Kälte. Stille überwindet Hitze. Stille und Beschaulichkeit bringen die Dinge im Universum
in Ordnung.
46
Wenn das Tao gegenwärtig ist,
stehen die Pferde im Stall. Wenn das Tao nicht gegenwärtig ist, werden die Kriegspferde geboren vor der Stadt. Es gibt keine größere Untugend als das Verlangen, keinen größeren Fluch als die Unzufriedenheit, kein größeres Unglück, als etwas für sich zu wollen. Deshalb wird derjenige, der weiß, dass genug genug ist,
immer genug haben.
47
Ohne nach draußen zu gehen magst du die ganze Welt kennen. Ohne durch das Fenster zu schauen magst du die Wege des Himmels sehen. Je weiter du gehst, desto weniger weißt du. Daher weiß der Weise ohne zu reisen. Er sieht ohne zu schauen. Er arbeitet ohne zu tun.
48
Verfolgt man das Lernen, dann wird jeden Tag etwas erworben. Verfolgt man das Tao, dann wird jeden Tag etwas weggelassen. Weniger und weniger wird getan bis das Nicht-Eingreifen erreicht ist. Wenn nichts getan wird, dann ist auch nichts ungetan.
Die Welt wird regiert, indem man den Dingen ihren Lauf lässt. Sie kann nicht regiert werden durch Eingreifen.
49
Der Weise hat keinen eigenen Verstand.
Ihm sind die Nöte der anderen bewusst.
Ich bin gut zu Menschen, die gut sind. Ich bin auch gut zu Menschen, die nicht gut sind. Weil die Tugend Güte ist. Ich bin aufrichtigen Menschen gegenüber aufrichtig. Ich bin auch nicht aufrichtigen Menschen gegenüber aufrichtig. Weil die Tugend Aufrichtigkeit ist.
Der Weise ist scheu und bescheiden,
gegenüber der Welt scheint er verworren. Andere schauen ihm zu und hören. Er verhält sich wie ein kleines Kind.
50
Zwischen Geburt und Tod suchen Drei von Zehn ihr Heil im Leben, Drei von Zehn suchen es im Tod, und Leute, die die Zeit zwischen Geburt und Tod einfach vorüberziehen lassen, gibt es ebenfalls Drei von Zehn. Warum ist dies so? Weil sie ihre Leben auf grobe Weise leben. Derjenige, der weiß, wie man man lebt, kann abseits gehen
ohne Angst vor Nashorn oder Tiger. Er wird nicht verwundet werden in der Schlacht. Weil an ihm das Nashorn keinen Punkt findet,
wohin es sein Horn stößt, der Tiger keinen Punkt, wohin er seine Pranken haut, und die Waffen keinen Punkt, wohin sie stechen. Warum ist das so? Weil er keinen Punkt hat, wo der Tod eindringen kann.
51
Alle Dinge entstehen aus dem Tao. Sie werden genährt von der Tugend. Sie werden gestaltet aus der Materie. Sie werden geformt von der Umgebung. Daher respektieren die zehntausend Dinge das Tao und ehren die Tugend. Respekt vor dem Tao und Ehre vor der Tugend werden nicht gefordert,
Aber sie liegen in der Natur der Dinge. Von der Tugend werden sie genährt, entwickelt, umsorgt,
behütet, getröstet,
aufgezogen und geschützt. Erschaffen ohne Anspruch,
Handeln ohne Gegenleistung,
Führen ohne Einmischung,
Das ist die erste Tugend.
52
Der Anfang des Universums ist die Mutter aller Dinge. Wenn man die Mutter kennt, kennt man auch die Söhne. Die Söhne zu kennen
und dennoch in Verbindung mit der Mutter zu bleiben,
das bringt Freiheit von der Angst vor dem Tod.
Halte deinen Mund, hüte deine Gefühle,
und das Leben ist stets vollkommen. Mach deinen Mund auf,
sei immer umtriebig,
und das Leben ist hoffnungslos.
Das Geringe zu sehen ist Einsicht, der Kraft nach zu geben ist Stärke. Das äußere Licht benutzen, zur Einsicht zurückkehren, und du wirst auf diesem Weg vom Unglück verschont bleiben. Das nennt man Beständigkeit lernen.
53
Wenn ich nur ein bisschen bei Verstand bin,
werde ich auf der Hauptstraße gehen und meine einzige Furcht wäre, dass ich davon abkomme. Sich an die Hauptstraße zu halten ist einfach, aber die Leute lieben es, davon abzuweichen.
Wenn der Hof geschmückt ist voller Glanz, dann sind die Felder voller Unkraut und die Kornspeicher sind leer.
Einige tragen prächtige Kleider, sie tragen scharfe Schwerter und sie vergnügen sich mit Speis und Trank, sie haben mehr Besitztümer als sie gebrauchen können. Sie sind die Räuberbarone. Das ist sicher nicht der Weg des Tao.
54
Was fest gegründet ist, kann nicht entwurzelt werden. Was fest gehalten wird, kann nicht entgleiten. Es wird geschätzt werden von Generation zu Generation.
Nähre die Tugend in dir selbst und die Tugend wird echt sein. Nähre sie in deiner Familie und die Tugend wird im Überfluss vorhanden sein. Nähre sie in deinem Dorf und die Tugend wird wachsen. Nähre sie in deinem Land und die Tugend wird überreich sein. Nähre sie im Universum und die Tugend wird überall sein.
Deshalb: Schau auf den Körper als Körper Schau auf die Familie als Familie Schau auf das Dorf als Dorf Schau auf das Land als Land Schau auf das Universum als Universum.
Wie weiß ich, dass das Universum so ist? indem ich schaue.
55
Er, der von der Tugend erfüllt ist wie ein neugeborenes Kind,
Wespen und Schlangen werden ihn nicht stechen, Wilde Tiere werden sich nicht auf ihn stürzen, Er wird nicht angegriffen werden von den Raubvögeln.
Seine Knochen sind weich, seine Muskeln schwach,
aber sein Griff ist kräftig.
Er hat die Vereinigung von Mann und Frau niemals erfahren, dennoch ist er ganz. Sein Menschsein ist stark Er schreit den ganzen Tag ohne heiser zu werden.
Das ist vollkommene Harmonie. Die Harmonie zu kennen ist Konstanz. Die Konstanz zu kennen ist Erleuchtung.
Es ist nicht weise, sich abzuhetzen. Den Atem zu kontrollieren verursacht Anstrengung. Wenn zu viel Energie eingesetzt wird folgt die Erschöpfung. Das ist nicht der Weg des Tao. Was immer dem Tao entgegen steht wird nicht von Dauer sein.
56
Die, die wissen, reden nicht. Die, die reden, wissen nicht. Halte deinen Mund. Meistere deine Sinne. Zügle deine Schärfe. Vereinfache deine Probleme. Verhülle deine Klarheit. Sei eins mit dem Staub der Erde. Dies ist die ursprüngliche Einheit.
Derjenige, der diesen Zustand erreicht hat,
den kümmern nicht Freunde oder Feinde, weder Glück noch Unglück, weder Ehre noch Schande. Dies ist deshalb der höchste Zustand des Menschseins.
57
Regiere eine Nation mit Gerechtigkeit. Führe Krieg mit Überraschungszügen. Werde Meister des Universums ohne Anstrengung. Wie weiß ich, dass das so ist? Deshalb! Je mehr Gesetze und Beschränkungen es gibt,
desto ärmer werden die Leute. Je schärfer die Waffen der Menschen sind
desto mehr Ärger gibt es im Land. Je einfallsreicher und schlauer die Menschen sind
desto mehr seltsame Dinge geschehen. Je mehr Regeln und Richtlinien es gibt
desto mehr Diebe und Räuber gibt es.
Deshalb sagt der Weise: Ich handele nicht und die Leute sind erneuert. Ich genieße den Frieden und die Leute kehren zurück
zu einem guten und einfachen Leben.
58
Wenn das Land regiert wird mit leichter Hand
sind die Menschen einfach. Wenn das Land regiert wird mit strenger Hand
sind die Menschen durchtrieben. Das Glück fusst im Unglück. Das Unglück lauert neben dem Glück. Wer weiß schon was kommt? Es gibt keine Ehrlichkeit. Ehrlichkeit wird zur Unehrlichkeit, Güte zur Hexerei. Die Verhextheit des Menschen dauert lange Zeit.
Deshalb ist der Weise scharf aber nicht schneidend, pointiert aber nicht steckend, gerade heraus aber nicht hemmungslos,
strahlend aber nicht blendend.
59
Für andere zu sorgen und dem Himmel zu dienen
nichts ist vortrefflicher dafür als die Zurückhaltung. Die Zurückhaltung beginnt mit dem Aufgeben der eigenen Ideen.
Das beruht auf Tugend die in der Vergangenheit gesammelt wurde. Wenn es einen guten Bestand an Tugend gibt ist nichts unmöglich. Wenn ein Mensch keine Grenzen kennt ist er tauglich
ein Anführer zu werden. Gutes Regieren hält das Gute für lange Zeit. Das nennt man tiefe Wurzeln haben und ein starke Grundlage
das Tao des langen Lebens und des zeitlosen Blicks.
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Ein Land regieren ist wie einen kleinen Fisch kochen. Nähere dich dem Universum mit Tao und das Böse hat keine Macht, sondern seine Macht wird nicht dazu gebraucht, andere zu verletzen. Nicht nur wird es andere nicht verletzen, sondern der Weise selbst wird beschützt werden. Sie verletzen sich nicht gegenseitig und die Tugend in einem erfrische beide.
61
Ein großes Land ist wie ein flaches Stück Land. Es berührt den Grund des Universums, die Mutter des Universums. Das Weibliche überwindet das Männliche mit Stille, es liegt ganz tief in der Stille.
Deshalb, wenn ein großes Land einem kleineren Land nachgibt, wird es das kleinere Land erobern. Und wenn ein kleines Land sich einem großen Land unterwirft, kann es das große Land erobern. Deshalb müssen die, die erobern wollen, nachgeben und jene, die erobern, es tun, weil sie nachgeben.
Eine große Nation braucht mehr Menschen, ein kleines Land muss dienen. Jeder bekommt, was er will. Es ist passend für eine große Nation nachzugeben.
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Das Tao ist die Quelle der zehntausend Dinge. Es ist der Schatz des guten Menschen und die Zuflucht des schlechten Menschen. Süße Worte können Ehre kaufen, gute Taten können Ansehen einbringen. Wenn ein Mensch schlecht ist, gib ihn nicht auf. Deshalb am Tag, an dem der Kaiser gekrönt wird, oder an dem die Minister eingeführt werden, sende kein Geschenk aus Jade oder einen Rennstall von vier Pferden, sondern bleibe ruhig und offeriere das Tao. Warum mag jeder am Anfang das Tao so gerne? Ist es nicht, weil du findest, nach was du suchst und um der Vergebung deiner Sünden willen? Deshalb ist das Tao der größte Schatz im Universum.
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Übe das Nicht-Handeln. Arbeite ohne Tun. Schmecke das Geschmacklose. Vergrößere das Kleine, vermehre das Wenige. Belohne Bitterkeit mit Fürsorge. Sieh die Einfachheit im Komplizierten. Erlange Größe in kleinen Dingen. Im Universum werden die schwierigen Dinge getan als ob sie leicht wären. Im Universum entstehen große Taten aus kleinen Handlungen. Der Weise versucht nichts sehr Großes und daher erlangt er Größe. Leichtfertige Versprechen sorgen für wenig Vertrauen. Die Dinge leicht zu nehmen führt zu großen Schwierigkeiten. Weil der Weise den Schwierigkeiten immer entgegentritt
erlebt er sie nie.
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Frieden kann leicht aufrecht erhalten werden, Ärger ist leicht überwunden bevor er beginnt. Der Zweig ist leicht zu brechen, das Kleine ist leicht zu zerstreuen. Befass dich damit, bevor es geschieht. Bringe Dinge in Ordnung, bevor es Unordnung gibt.
Ein Baum, groß wie der Armumfang eines Mannes, entspringt aus einem kleinen Schössling. Ein Haus neun Stockwerke hoch beginnt mit einem Haufen Erde, eine Reise von tausend Meilen fängt an unter deinen Füßen.
Er, der handelt, vereitelt seine eigene Absicht, er, der zugreift, verliert. Der Weise handelt nicht, so wird er nicht besiegt. Er greift nicht zu und deshalb verliert er nicht.
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Am Anfang versuchten diejenigen, die das Tao kannten, nicht, andere zu erleuchten, sondern sie hielten es verborgen. Warum ist es so schwer zu führen? Weil die Menschen schlau sind. Anführer, die Schlauheit anwenden, betrügen das Land. Diejenigen, die ohne Schlauheit herrschen, sind ein Segen für das Land. Es gibt diese beiden Möglichkeiten. Diese zu verstehen ist erste Tugend. Die erste Tugend ist tief und weit. Sie führt alle Dinge zurück in die große Einheit.
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Warum ist die See der König der hundert Ströme? Weil sie unter ihnen liegt. Deshalb ist sie der König der hundert Ströme. Wenn der Weise die Menschen führte, müsste er in Demut dienen. Wenn er sie führte, müsste er ihnen nach folgen. Auf diese Weise werden, wenn der Weise führt, sich die Menschen nicht unterdrückt fühlen. Wenn er vor ihnen steht, werden sie nicht verletzt werden. Die ganze Welt wird ihn unterstützen und wird seiner nicht überdrüssig werden. Weil er nicht im Wettstreit liegt, nimmt er nicht am Wettstreit teil.
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Jedermann unter dem Himmel sagt, mein Tao sei groß und ohne Vergleich. Weil es groß ist, scheint es fremdartig zu sein. Wenn es nicht fremdartig wäre, wäre es bereits verschwunden vor langer Zeit.
Ich habe drei Schätze, die ich halte und wahre. Der erste ist Erbarmen, der zweite ist Sparsamkeit, der dritte ist es, zu wagen, anderen nicht voraus zu sein. Aus Erbarmen wird Mut, aus Sparsamkeit wird Großzügigkeit, aus Demut wird Führung.
Heutzutage meiden die Menschen das Erbarmen, stattdessen versuchen sie, mutig zu sein. Sie meiden die Sparsamkeit, stattdessen versuchen sie, großzügig zu sein. Sie glauben nicht an die Demut, stattdessen versuchen sie, immer der Erste zu sein. Das ist der sichere Tod.
Erbarmen bringt Sieg in der Schlacht und Stärke in der Verteidigung. Es ist das Mittel, mit dem der Himmel rettet und leitet.
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Ein guter Soldat ist nicht gewalttätig. Ein guter Kämpfer ist nicht zornig. Ein guter Sieger ist nicht rachsüchtig. Ein guter Fronherr ist bescheiden. Dies nennt man die Tugend des Nichtstrebens. Dies nennt man die Gabe, mit Menschen umzugehen. Dies nennt man seit ewigen Zeiten die endgültige Einheit
mit dem Himmel.
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Unter Soldaten gibt es einen Spruch: Ich wage es nicht, den Anfang zu machen, stattdessen spiele ich lieber den Gast. ich wage es nicht, einen Zentimeter voran zu gehen, stattdessen gehe ich lieber einen Meter zurück. Das nennt man Marschieren ohne den Anschein einer Bewegung,
die Ärmel hoch krempeln ohne deinen Arm zu zeigen,
den Feind gefangen nehmen ohne anzugreifen,
bewaffnet sein ohne Waffen.
Es gibt keine größere Katastrophe, als den Feind zu unterschätzen. Indem ich den Feind unterschätze, habe ich bereits fast verloren was ich schätze.
Deshalb wird, sobald der Kampf aufgenommen ist, der Unterlegene gewinnen.
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Meine Worte sind einfach zu verstehen und einfach anzuwenden.
Dennoch versteht sie keiner unter dem Himmel und keiner wendet sie an. Meine Worte haben uralte Anfänge. Meine Handlungen sind überlegt. Weil die Menschen nicht verstehen, haben sie keine Kenntnis von mir.
Diejenigen, die mich verstehen, sind wenige. Diejenigen, die mich missbrauchen, werden geehrt. Deshalb trägt der Weise grobe Kleidung und trägt den Juwel in seinem Herzen.
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Unwissenheit zu erkennen ist Stärke. Wissen zu übersehen ist Krankheit. Wenn einer krank ist von der Krankheit, dann ist er nicht krank. Der Weise ist nicht krank, weil er krank ist von der Krankheit. Deshalb ist er nicht krank.
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Wenn den Menschen die Ehrfurcht fehlt, gibt es Unglück. Betrete nicht ihre Häuser. Bedränge sie nicht bei der Arbeit. Wenn du dich nicht einmischst,
werden sie deiner nicht müde werden. Der Weise kennt sich, er macht darum kein Aufhebens. Er ist selbstbewusst doch nicht arrogant. Er lässt jenes gehen und wählt dieses.
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Ein tapferer und leidenschaftlicher Mann
wird töten oder getötet werden.
Ein tapferer und ruhiger Mann wird immer Leben erhalten. Welcher von beiden ist gut und welcher ist schädlich? Einige Dinge werden nicht vom Himmel unterstützt. Wer weiß warum? Sogar der Weise ist dessen ungewiss. Das Tao des Himmels strebt nicht und doch ist es bezwingt es. Es spricht nicht und doch antwortet man ihm. Es bittet nicht und doch wird all seinen Bedürfnissen entsprochen. Es scheint kein Ziel zu haben und doch ist sein Zweck erfüllt.
Das Netz des Himmels ist weit ausgeworfen. Obwohl seine Maschen verlaufen schlüpft nichts hindurch.
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Wenn die Menschen keine Angst davor haben, zu sterben, ist es zwecklos, ihnen mit dem Tode zu drohen. Wenn die Menschen in ständiger Furcht vor dem Sterben leben und wenn Gesetze zu brechen bedeutet, dass jemand getötet wird, wer wird es wagen, Gesetze zu brechen?
Es gibt immer einen offiziellen Henker. Wenn du versuchst, seinen Platz einzunehmen, ist dies, als wenn du versuchst, ein Meisterschreiner zu werden und Holz zu hacken. Wenn du versuchst, Holz zu hacken wie ein Meisterschreiner, wirst du nur deine Hand verletzen.
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Warum hungern die Menschen? Weil die Herrscher das Geld durch die Steuern auffressen. Deshalb hungern die Menschen. Warum sind sie Menschen rebellisch? Weil sich die Herrscher zu stark einmischen. Deshalb sind sie rebellisch.
Warum denken die Menschen so wenig an den Tod? Weil die Herrscher zu viel vom Leben verlangen. Deshalb nehmen die Menschen den Tod leichtfertig.
Wer wenig zum Leben hat, weiß das Leben mehr zu schätzen als wer zu viel hat.
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Ein Mensch wird geboren freundlich und schwach. Bei seinem Tod ist er hart und steif. Grüne Pflanzen sind zart und voller Kraft. Bei ihrem Tod sind sie welk und trocken. Deshalb ist das Steife und das Unbeugsame der Schüler des Todes, das Weiche und Nachgebende ist der Schüler des Lebens.
Daher wird eine Armee ohne Anpassungsfähigkeit nie eine Schlacht gewinnen. Ein Ast, der sich nicht beugt, wird einfach gebrochen.
Das Harte und Starke wird scheitern. Das Weiche und Schwache wird weiter bestehen.
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Das Tao des Himmels ist wie das Biegen eines Bogens. Das Hohe wird gesenkt und das Niedrige wird gehoben. Wenn die Schnur zu lang ist, wird sie gekürzt. Wenn es nicht genug gibt, wird sie länger gemacht. Das Tao des Himmels ist es, zu nehmen von denen, die zu viel haben und zu geben denen, die nicht genug haben. Der Weg des Menschen ist anders. Er nimmt von denen, die nicht genug haben und gibt denen, die bereits zu viel haben. Welcher Mensch hat mehr als genug und gibt es der Welt? Nur ein Mensch des Tao.
Deshalb arbeitet der Weise ohne Anerkennung. Er erreicht das, was getan werden muss, ohne sich damit aufzuhalten. Er versucht, sein Wissen nicht zu zeigen.
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Unter dem Himmel ist nichts weicher und fließender als das Wasser. Dennoch, um das Feste und Starke anzugreifen gibt es nichts Besseres, es ist ohne Gleichen. Das Schwache kann das Starke überwinden. Das Biegsame kann das Steife überwinden. Unter dem Himmel weiß dies jeder, dennoch wendet es keiner an. Deswegen sagt der Weise: Er, der die Demütigung der Menschen auf sich nimmt, ist soweit, sie zu regieren. Er, der das Unglück des Landes auf sich nimmt, verdient es, König des Universums zu sein. Die Wahrheit klingt oft paradox.
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Nach einer bitteren Auseinandersetzung muss einige Verstimmung übrig bleiben. Was kann man da tun? Der Weise behält seine Hälfte des Handels aber er fordert nicht seinen Anteil. Ein Mann von Tugend übt seine Kunst, aber ein Mann ohne Tugend verlangt von anderen, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Das Tao des Himmels ist ungeteilt. Es bleibt bei den Guten alle Zeit.
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Ein kleines Land hat weniger Menschen. Obwohl es Maschinen gibt, die zehnmal oder hundertmal schneller arbeiten als ein Mensch, sind sie nicht notwendig. Die Menschen nehmen den Tod ernst und reisen nicht weit. Obwohl sie Boote und Wagen haben, benutzt sie niemand. Obwohl sie Rüstung und Waffen haben, zeigt sie keiner her. Die Menschen kehren zurück zum Schnüreknoten, statt zu schreiben. Ihre Nahrung ist einfach und gut, ihre Kleidung ist fein aber einfach, ihre Häuser sind sicher. Sie sind glücklich auf ihre Art. Obwohl sie in Sichtweite ihrer Nachbarn leben und krähende Hähne und bellende Hunde ihren Weg kreuzen, lassen sie einander dennoch in Frieden während sie alt werden und sterben.
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Wahre Worte sind nicht schön. Schöne Worte sind nicht wahr. Gute Menschen streiten nicht. Diejenigen, die streiten, sind nicht gut. Diejenigen, die wissen, sind nicht gelehrt. Diejenigen, die lehren, wissen nicht. Der Weise versucht niemals Dinge zu bewahren. Je mehr er tut für andere, desto mehr hat er. Je mehr er anderen gibt, desto größer sein Wohlstand. Das Tao des Himmels ist spitz aber harmlos. Das Tao des Weisen ist Tun ohne Bemühen.